von Dr. theol. Dr. soc., phil. habil, Elmar Nass;
Ein weiterer Vormarsch von Künstlicher Intelligenz (KI), Quantentechnologie und weiteren Generationen auf diesen Technikpfaden steht uns bevor. Das verantwortliche Urteil einer christlichen Technikethik fällt bei aller Wertschätzung so vieler Vorzüge und neuer Errungenschaften insgesamt ambivalent aus. Hierbei braucht es zunächst eine christlich fundierte ethische Positionierung zur Anwendung von KI. Anschließend ist zu fragen, wie sie umgesetzt werden kann. Darüber hinaus muss gefragt werden, ob es nicht ambitioniertere Alternativen zu einer solchen bloß reagierenden Ethik geben kann oder muss.
Christlich-ethische Positionierung zur KI-Anwendung
Selbstverständlich ist es zu begrüßen, dass KI die Menschen von Routinearbeiten entlastet. Das gilt für viele Einsatzbereiche in Gesundheitswesen, Militär, Medien, Bildung, Kirche u.a. Unterstützungen in der Verwaltung und bei empirischen Studien, die Indienstnahme bei Übersetzungen, die Recherchen und Vorbereitungen mit Bild, Ton und Texten etwa für Unterricht und Katechese sind grundsätzlich zu begrüßen. Zu warnen ist aber immer vor den vielseitigen Verwässerungen der Menschenwürde, vor KI-Agenten, die Entscheidungen etwa über Personal, Strategien oder in der Seelsorge treffen, vor einer Optimierungslogik zuungunsten der Schwachen, vor Deaktivierung menschlicher Talente, vor einer Vermenschlichung, Vertrauen und vermeintlicher Freundschaft mit KI, vor der Substitution menschlicher Begegnung und Kommunikation, vor der Verdrängung der Endlichkeit etwa in der Virtual-Reality-Kommunikation mit Hologrammen von Verstorbenen, vor dem falschen Vertrauen in scheinbare Evidenz und Chat-Bots, vor der Deaktivierung von Gewissen und Moral durch eine programmierte Moral der Algorithmen (so genannte Künstliche Moral), vor einer technikutopischen Eschatologie und deren Avantgarde etwa im Transhumanismus u.v.a.m. Technik, die so die Grenzen der Menschenwürde verschwimmen lässt und das Zusammenleben verändert, uns Gefühle und sogar Gespräche mit Toten vorgaukelt, zerstört das Bewusstsein von Sinn, Menschlichkeit, Begrenztheit, Verantwortung und auch Transzendenz. Würde, Freiheit, Demokratie und auch Religion stehen auf dem Spiel. Der Mensch soll, so ein christlich verantworteter Umgang, selbst eine generative KI u.a. nutzen, darf sich aber nicht seiner herausgehobenen unantastbaren Würde berauben oder von ihr versklaven lassen. Die Technik muss ein Instrument bleiben, dessen Ergebnisse von Menschen bewertet und eingesetzt werden. Vor allem ist aus einer christlichen Sicht in jeder Kommunikation zu bedenken, dass die KI gewissen- und seelenlos ist, den Menschen auf binäre Codes reduziert und dabei selbst weder einen Draht zu Gott noch eine Sehnsucht nach Sinn, Intentionalität und Transzendenz hat.
Umsetzung christlicher KI-Ethik
Einer verantwortlichen christlichen Ethik bleiben auch angesichts der Prognose von Sascha Lobo, dass KI uns mit einer Wahrscheinlichkeit von immerhin 20 % in den Abgrund führen könne, ceteris paribus folgende Aufträge: Stärkung einer selbstbewussten Positionierung im KI-ethischen Diskurs, transparent gemachte Urteile über gute und schlechte KI-Nutzung, die aktive Suche nach starken weltanschaulichen Verbündeten, Zurückhaltung im eigenen anthropomorphen Wording sowie die aktive Mitwirkung an der Erarbeitung und Umsetzung internationaler Standards ethischer Bildung und Regeln. Der erste Schritt zielt darauf ab, einen humanen KI-Einsatz marktkonform als einen komparativen Vorteil gegenüber anderen Praktiken (etwa in China o.a.) zu profilieren. Hierbei sind selbstverständlich neben ethischen Werten und Prinzipien auch wirtschaftliche Konsequenzen zu bedenken, so dass sich ethische Redlichkeit ökonomisch rechnet. KI und diesem beschrittenen Pfad folgende Technologien werden unter einem solchen ethischen Anspruch von Unternehmen nicht grenzenlos erforscht und genutzt, sondern in einem transparent gemachten ethischen Rahmen. Was außerhalb dieses Weges liegt, sollte in dieser nunmehr als human deklarierten KI nicht mehr zum Einsatz kommen, so der Anspruch. Ziel muss es dabei sein, Anreize für eine wertebasierte Forschung mit humanem KI-Profil auf den Weltmärkten zu etablieren. Notwendig ist daneben auch auf der Verbraucherseite ein Bewusstseinswandel, der wohl seine Zeit braucht. Von der Grundschule bis zur Hochschule und darüber hinaus müssen Diskussionen über guten und schlechten KI-Einsatz geführt werden. Analog etwa zu einer inzwischen allseits geschätzten grünen Energie wäre dann eine humane KI ein anzustrebendes Label, das sich gut verkauft.
Die christliche Vision jenseits einer KI-Ethik
Der zweite Schritt ist noch weit ambitionierter. Er bedeutet, dass diese christliche Ethik nicht weiter einfach der technischen Entwicklung hinterherläuft und sie kritisch einzufangen sucht. Das wirkt für viele Techniker latent fortschrittsfeindlich und ist hemmend für den interdisziplinären Diskurs. Neben den Aufträgen zu solcher ethischen Flankierung des mächtigen KI-Pfades und damit verbundener Aufklärungsarbeit sollte christliche Ethik eine Vorreiterrolle zu einem grundsätzlichen Umdenken in der Entwicklung und Bewertung von KI u.a. Technik der Zukunft übernehmen. Eine solche neue Vision besteht nun darin, dass die Ethik die Zukunftspfade des technischen Fortschritts von der Wurzel her selber aktiv mitgestaltet und dabei selbst den innovativen Forschergeist inhaltlich mit beflügelt. Das heißt: Der durch die KI-Forschung vorgezeichnete Weg soll unter Einbeziehung auch christlich-ethischer Expertise weiter kritisch begleitet werden. Daneben sollte ein alternativer Pfad beschritten werden, der technischen Fortschritt nunmehr neben dem schon mächtigen KI-Pfad anders denkt: die humane Seite, also die Dienstbarkeit am Menschen mit den entsprechenden Werten und christlichen Idealen von Würde, Zusammenleben und Verantwortung wird dazu im Sinne einer Technikphilosophie von Technikern und Ethikern gemeinsam entwickelt. Auf dieser Grundlage soll unter Einbeziehung vorhandener technischer Erkenntnisse inklusive KI eine nunmehr neue Forschung mit neuen Wegen und Zielen betrieben werden, die nicht einfach die eingetretenen KI-Pfade weiter beschreitet. Technik und Technikentwicklung ist dieser Vision entsprechend stattdessen auf einer anderen Straße ganz neu zu denken, unter Einbeziehung der ethischen Standards in radice. Diese Vision besteht also darin, dass ein neuer Fortschrittsweg die Entwicklungen auf der KI-Einbahnstraße im Wettbewerb einmal überflügeln wird und alternative, jetzt noch nicht absehbare technische Arrangements mit vergleichbarem oder leistungsstärkerem Lösungspotential hervorbringt. Christliche Ethik kann und sollte jetzt einen solchen neuen Weg in eine gute Zukunft der Menschheit anstoßen und weisen.
In diesem Jahr erscheint von Elmar Nass der erste Entwurf zu einer Systematik christlicher KI-Ethik:
Nass, Elmar (2026): Christliche KI-Ethik. Einführung in Grundlagen, Anwendung und Positionen, Karl Alber Verlag Baden-Baden.
