Prof. DDr. Hans Hofinger, MA
- Vorbemerkung
Die Leitsätze „ora et labora et lege“ werden oft so verstanden, dass man die Grundsätze der Führung aus dem „labora“ herauskristallisiert und das „ora“ beiseite lässt. Das bedeutet eine Säkularisierung der Regel, obwohl für Benedikt das Gebet im Zentrum steht, dem alles untergeordnet ist.
Diese säkularisierte Teilentleerung der RB kann trotzdem eine Basis für das Führen von Gemeinschaften sein.
- Führungsgrundsätze
- Demut als Fundament für die Führung
Demut erscheint in unserem heutigen Sprachgebrauch als ein antiquiertes Wort, mit dem Unterwürfigkeit, Befehlsempfängertum, Kritiklosigkeit und Ähnliches assoziiert wird. Das althochdeutsche „diomuoti“ bedeutet jedoch „Mut zu dienen“ und beinhaltet eine dienende Gesinnung.
In Kapitel 7 der RB erläutert Benedikt die Demut in 12 Stufen. Es ist ein Kampf für Befreiung von Abhängigkeiten und ein Kampf der Freiheit für die Selbstentfaltung. Es geht um die Beziehung zu Gott, zu den Mitmenschen und zu sich selbst. Sein eigenes Menschsein in Gott und im Anderen erkennen.
Demut ist somit nicht Unterwürfigkeit oder Schwäche, sondern sich „ganz und gar für das Menschsein“ öffnen.
Demut ist die Tugend des „sich Bescheidens, der Selbsterkenntnis der Grenzen der eigenen Vernunft“.
Thomas von Aquin beschreibt in seinem Gebet über das Studium im letzten Satz sehr treffend: „Suche nicht, was für dich zu hoch ist.“ Oder wie Maimonides im Kommentar zur Mischna ausdrückt: „Der Mensch wächst, wenn er sich in der Vernunft voll ausbildet, eine Vernunft, die ihre Grenzen und ihre Postulate kennt.“
Ehrlicher Stolz ist mit einer demütigen Gesinnung vereinbar, weil er die Grenzen seiner Mächtigkeit kennt. Sich voll Stolz aufblähen ist jedoch verwerflich und widerspricht der Demut.
- Gesamtverantwortung in der Führung
Nach der RB 2, 7 „Der Abt muss wissen: Für jeden Verlust, den der Hausherr bei seinen Schafen feststellt, trifft den Hirten die Verantwortung.“
Im Sinne der Gleichbehandlung soll der Freigeborene keinen Vorzug haben gegenüber dem, der als Sklave in die Gemeinschaft eingetreten ist (RB 2, 16; 18).
Nach Benedikt haben alle Menschen die selbige Würde als Person, da sie Ebenbild Gottes sind. In der Hierarchie der Gemeinschaft gibt es aber organisatorische Stufen der Über- und Unterordnung.
Der Gehorsam ist ein Hören auf das Wort des Meisters. Das Befolgen ist eine Antwort auf das Gehörte. Der Obere darf dabei den Untergeordneten nicht überfordern, aber auch nicht zu wenig fordern, da sich sonst Müßiggang einschleichen könnte.
In jedem Unternehmen muss auch heute der Grundsatz gelten, dass alle Mitarbeiter als Personen mit gleicher Würde gesehen und behandelt werden.
Bei der Mitarbeiterführung sind Prinzipien der Regula Benedicti 2, 23-28 anzuwenden.
Im Grundmuster ist die Menschenführung im Wesentlichen dreigeteilt:
- den gütigen, milden Umgang
- den ermutigenden Umgang
- den tadelnden Umgang
„oderit vitiosa, diligat fratres“ im Sinne von „Hasse die Fehler/Sünden, liebe trotzdem die Brüder“ muss der Obere die Fehler der Brüder im Sinne einer guten Führung ansprechen, aber den Bruder weiterhin lieben.
- Führen durch Beispiel
Nach RB 2, 12 zeige der Abt „mehr durch sein Beispiel als durch Worte, was gut und heilig ist“. Puzicha Michaela übersetzt den lateinischen Text:
„id est omnia bona et sancta factis amplius quam verbis obstentat” umfassender mit:
„Er mache alles Gute und Heilige mehr durch sein Leben als durch sein Reden sichtbar.“
Das angesprochene Dilemma spricht Benedikt aus, dass das Verkündete oft mit dem Gelebten nicht identisch ist. Im Volksmund heißt es: „Wasser predigen und Wein trinken.“
Alle Geführten können am besten überzeugt werden, wenn die Führungskraft vorlebt, was von Mitarbeitern gefordert wird.
Durch das Vorleben entsteht Authentizität der Führungspersönlichkeit und auch Akzeptanz seines Führungsanspruches.
In der gesamten Managementliteratur wird auf dieses in praxi zu verwirklichende Prinzip hingewiesen.
Schulze-Delitzsch hat es für seine Genossenschaften so formuliert: „Mehr durch Taten als durch Worte führen.“
Dieser Führungsstil muss aber auf sittlichen Werten beruhen, die dem Christentum und der Regula Benedicti entsprechen.
Benedikt betont daher, dass nur das sittliche positive Beispielgeben als Vorleben den Anforderungen des Abtes entspricht. „Alles Gute und Heilige“ lebe er beispielhaft vor.
Auch ein auf Egomanie beruhender Führungsstil, der durch Beispiel und Worte umgesetzt wird, entspricht diesem Prinzip. Allerdings werden die Basics, die auf der Würde eines jeden Menschen in gleicher Weise beruhen, missachtet.
Jeder Leser kann seinen Blick schweifen lassen und versuchen zu erkennen, welchen Führungsstil mit Beispielsführung, der aufgrund des Vorlebens auch von Untergebenen übernommen wird, ich meine.
Wenn das Übel der Habgier sich einschleicht, die Führungskraft sich voll Stolz aufbläht und die Würde der Menschen durch gespaltene Gesellschaften ausgebeutet werden, dann ist das Wertesystem unchristlich. Daher ist beispielhaftes Vorleben als Führungsprinzip untrennbar mit den christlichen Wertordnungen verbunden, die auch Johannes Messner vorgelebt und eindringlich eingefordert hat.
- Discretio
Für Papst Gregor den Großen zeichnet sich die Regula Benedicti durch discretio aus.
Nach monastischer Tradition ist es die Gabe der Unterscheidung zwischen dem guten und dem bösen Geist, zwischen gut und besser, zwischen dem, was auf dem Weg zu Gott nützt und was nicht.
Benedikt verbindet diese grundsätzlich christliche Haltung vor allem mit der Führungsaufgabe des Abtes. Er bezeichnet die discretio als die „Mutter aller Tugenden“.
Discretio meint damit zweierlei
- die Fähigkeit zur Unterscheidung
- die Fähigkeit zur maßvollen Entscheidung
Kapitel 64, 15-19 der RB führt das spirituelle Profil des Abtes aus.
Der Abt suche mehr geliebt als gefürchtet zu werden.
Er sei vorausschauend und besonnen.
Er denke an die maßvolle Unterscheidung.
Er soll seine Herde nicht überanstrengen, sonst werden sie eines Tages zugrunde gehen.
Für die heutige Unternehmensführung können wir ableiten, dass man Bedacht nehmen muss auf die gesamte Gemeinschaft, aber auch auf jeden Einzelnen. Die Gemeinschaft darf man nicht überlasten. Auch wenn von der Gemeinschaft solidarische Leistungen im Sinne der christlichen Nächstenliebe gefordert werden, dürfen diese Lasten nicht so schwer sein, dass die gesamte Gemeinschaft – Herde – zugrunde geht.
Der nachhaltige Erhalt zur Sicherung von Solidarleistungen steht vor der Ausbeutung und damit verbundenen Auflösung der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft braucht eine existenziell gefestigte Ordnung, um nachhaltig christlich-soziale Nächstenliebe erfüllen zu können.
Die Gabe der Unterscheidung – die discretio – ist aber ganz wesentlich bei der Führung von Personen.
Im Kapitel 64, 19 der RB wird der Abt angewiesen, „in allem Maß zu halten, damit die Starken finden, wonach sie verlangen, und die Schwachen nicht davonlaufen“.
Diese Gabe der discretio ist auch bei der Mitarbeiterführung im Sinne der Würde jeder Person wichtig.
Mitarbeiter wollen als unternehmerische Menschen mit Entscheidungsgewalt im Stande ihrer Hierarchie eingebunden sein. Es ist ein beruflicher Teil ihrer Selbstentfaltung. Die Führungskraft muss dafür sorgen, dass die Selbstbewussten sich nicht überschätzen und glauben, dass sie schon eine Kompetenz besitzen, die ihre hierarchische Stellung übersteigt..
Andererseits gibt es Mitarbeiter, die mit Kompetenz und großem Fleiß, Vorlagen ausarbeiten, aber nicht den Mut haben, eine Entscheidung vorzuschlagen. Diesen Mitarbeitern darf man den Entscheidungsvorschlag nicht aufdrängen, sondern muss sie sorgsam führen, dass sie sich einer vom Oberen vorgeschlagenen Entscheidung annähern, ablehnen oder auch eine Stellungnahme abgeben möchten.
Starke Mitarbeiter sind zu fordern, schwache zu fördern.
Jede Führungskraft wie der Abt muss sich nach RB 2, 39 bewusst sein, dass er Rechenschaft über die ihm anvertrauten Schafe abzulegen haben wird.
- Abt – Rat der Brüder
Im Kapitel 3 RB bezieht Benedikt den Rat der Brüder als Entscheidungshilfe für den Abt ein.
RB 3, 1: „Wenn etwas Wichtigeres im Kloster zu behandeln ist, soll der Abt die ganze Gemeinschaft zusammenrufen und selbst darlegen, worum es geht.“
Die Brüder sollen jedoch in aller Demut und Unterordnung ihren Rat geben (RB 3, 4). Die Entscheidung liegt im Ermessen des Abtes (RB 3, 5).
Um Rat fragen und Rat suchen ist eine Sache des gesunden Menschenverstandes.
Rat suchen ist eine der demokratischen Ordnung vorgelagerte Normstruktur. Die Entscheidung liegt beim Abt, aber er ist wohlberaten, gute Ratschläge zu beachten.
Wenn der Abt aber ein kleineres Beratungsgremium einberuft, hat er auf eine ausgewogene Struktur der Teilnehmer Bedacht zu nehmen. Dabei soll er sich nicht nur mit ihm nahestehenden und wohlgesonnenen Brüdern umgeben, da dies zu zustimmenden Jasagern führen könnte. Dies wäre dann kein konstruktives Beratungsgremium, sondern ein unterwürfiges Beifall klatschendes „Zustimmungsgremium“.
Um die Ausgewogenheit zwischen den Generationen zu gewährleisten, sind auch Jüngere beizuziehen. Nach RB 3, 3 sind die Jüngeren deshalb beizuziehen, „weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist“.
Oft wird auch eine Technik angewandt, wonach die Jüngeren, wenn sie einen Vorschlag einbringen wollen, zuerst das Wort erteilt bekommen. Wenn ihr Rat durch den besseren Rat eines Älteren korrigiert wird, verliert der Jüngere, der noch im Lernstadium ist, nicht sein Gesicht.
Umgekehrt könnte ein Älterer, dessen Rat durch einen Jüngeren richtiggestellt wird, in seinem Ansehen emotional verletzt werden.
Das Einholen von Rat ist heute in Unternehmen eine Selbstverständlichkeit und wird als Teamarbeit verankert.
- Fehleranalyse und Behebung
„oderit vitia, diligat fratres“ nach RB 64, 11
Eine wesentliche Führungsbegleitung wird hier angesprochen. „Er hasse die Fehler, er liebe die Brüder.“
Die Unterscheidung zwischen Taten eines Menschen und dem Menschen ist manchmal schwierig, aber ein Grundprinzip persönlicher Führung. Es ist ein Prinzip der Barmherzigkeit und eine Chance der Besserung des „gefehlten“ Menschen.
Als Führungskraft einer Organisation – wirtschaftlicher und/oder sozialer Art – ist es ganz wichtig, die Fehler von Mitarbeitern anzusprechen, zu besprechen und dabei auch die Motive des Handelns zu erforschen. Dabei muss die Würde des Menschen jedoch immer gewahrt und beachtet werden.
Bei der Besprechung muss auch im Sinne der benediktinischen Diskretio die Persönlichkeit mit den jeweiligen Stärken und Schwächen berücksichtigt werden. Die Starken brauchen aufgrund ihrer gefestigten Persönlichkeit einen strengeren Zugang als die Schwachen, die die ermunternde, aufbauende, väterliche Hilfe benötigen.
In der Unternehmensführung genügt es auch nicht, ein- bis zweimal im Jahr ein formalisiertes Mitarbeitergespräch zu führen.
Besser sind situationsgebundene Gespräche, die bei persönlichem oder fachlichem Versagen eine Fehleranalyse vornehmen.
Nach der Fehleranalyse soll mit Vorschlägen der Besserung, Tadel oder Abmahnung vorgegangen werden.
Bei mehrmaligen schweren Verstößen muss man als Personalführer in aller Konsequenz dienstrechtliche Maßnahmen setzen.
- Zusammenfassung
Die Leitsätze der Führung, die sich in der Regula Benedicti vor allem an den Abt richten, dürfen nicht als inhaltsleere Leitsätze „Führen mehr durch Vor-leben als durch Worte“ von den davorliegenden Werten entleert werden.
Jeder Führungsgrundsatz bedarf einer Werteordnung. Bei Benedikt basieren die Werte, in der Nachfolge Jesus Christus zu leben und in der Heiligen Schrift und der von der Tradition der Kirchenväter verbürgten Überlieferung zu denken, entscheiden und handeln im jeweiligen zeitlichen Kontext.
Das Gebet, die reverentia vor Gott, den Menschen und der Schöpfung in sakralen aber auch profanen Dingen (RB 32, 1; 4) gibt dem Leben eine Antwort auf die Sinnfrage.
„UT IN OMNIBUS GLORIFICETUR DEUS” RB 57, 9
