Dr. Christian Machek
Welche sind die Grundlagen der Demokratie, genauer: der liberalen Demokratie, in der wir heute leben? Es scheint, dass ein Pluralismus und auch ein Werterelativismus ihre Grundlage geworden seien. Könnten diese jedoch für eine Gemeinwohlorientierung der Demokratie ausreichen? Oder ist nicht vielmehr zunächst jene Auffassung richtig, die als Böckenförde-Diktum bekannt geworden ist: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“?
Was ist überhaupt die Demokratie? Herrschaft des Volkes? Gibt es diese (noch)? Es gibt zweifelsohne unterschiedliche Realisierungen von Demokratie, wenn man etwa an die direkte Demokratie der Schweiz im Unterschied zu repräsentativen Demokratien denkt. Es gibt ferner divergierende Demokratietheorien. Wir denken etwa an Rousseaus Theorie der Volkssouveränität und seinen volonté generale, dem totalitär der Wille aller unterzuordnen sei. Das Naturrecht hat im Unterschied dazu in der demokratischen Entscheidung immer eine Annäherung an die Wahrheit des Gemeinwohles gesehen. Gemeinsam ist in allen Vorstellungen von Demokratie zunächst die individuelle Freiheit. Alle individuellen Anliegen des Volks sollen in der Demokratie idealerweise zu einem Ordnungsganzen zusammengefasst werden.
Dem Naturrechtsdenker geht es zunächst um die essentielle sokratische Frage nach dem guten, richtigen und somit gerechten Leben. Die sokratische Suche nach den Grundlagen des Zusammenlebens ist immer eine Suche nach der Wahrheit und insbesondere auch eine nach der Wahrheit über den Menschen, sprich einer tragfähigen Anthropologie. Im Sinne der Anthropologie der klassischen Metaphysik ist der Mensch entsprechend einer teleologischen Grundbewandtnis ein leibliches und geistiges Bedürfniswesen, das auf bestimmte „existentielle Lebenszwecke“ (Messner) wie Selbsterhaltung, Selbstvervollkommnung, Ausweitung der Erfahrung, Fortpflanzung, wohlwollende Anteilnahme an Wohlfahrt der Mitmenschen, gesellschaftliche Verbindung zur Förderung des allgemeinen Nutzens sowie Kenntnis und Verehrung Gottes ausgerichtet ist. Entsprechend der Entfaltung dieser Lebenszwecke verwirklicht der Mensch seine sittliche Persönlichkeit und kann eine Kultur erst entstehen. Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen, das nach dem höchsten Glück, der Eudaimonia, strebt. Dieses Glück realisiert der Mensch in einem Leben entsprechend den Tugenden. Die allseitige Verwirklichung der Gerechtigkeit ist das Gemeinwohl. Und dieses Gemeinwohl besteht aus mehreren Dimensionen, insbesondere einer materiellen, einer rechtlichen sowie einer geistigen, die das Bewusstsein der Menschen von Recht und Unrecht umfasst. Letzteres ist ein Mehr, das einem Staatswesen Glanz und die Vornehmheit gibt und in der Liebe zum Gemeinwesen wurzelt. Diese Liebe ist ein Gemeinwohlwert, der nach Messner mit dem Begriff Heimat verbunden ist. Aufgrund dieser Darlegungen kann das Naturrecht nach Messner als „das Wissen des Menschen von Recht und Gerechtigkeit, als Forderung wahrhaften Menschseins“ definiert werden.
Wie steht nun das Naturrecht genauer hin zur Demokratie? Es ist und war nie gegen eine recht verstandene Demokratie. Es schätzt insbesondere die Partizipationsmöglichkeit des Bürgers am politischen Willensbildungsprozess und somit ihre sehr notwendige Kontroll- und Korrekturmöglichkeit. Die Demokratie sollte als legitimes Mittel der Partizipation aller an der Herrschaftsmacht des Staates wissen, so der naturrechtliche Standpunkt, dass es zu ihrer Realisierung gewisser Voraussetzungen bedarf, wie der Verbreitung wahrheitsgetreuer Informationen, einer wahren Elite oder nicht zuletzt der Förderung eines Wertefundaments. Stellt etwa ein ideologischer, negativer und auch formaler Freiheitsbegriff ohne Verantwortung für das Gemeinwesen die Demokratie nicht in Frage? Ist es somit eben doch nicht ein wirklichkeitsgemäßes Naturrechtsdenken und dessen Menschenbild, welches erst den Bürger als Person und Persönlichkeit ermöglicht und ermächtigt, Demokratie gelingen zu lassen?