Prof. Jan-Heiner Tück zum „Ehe für alle“-Entscheid des Verfassungsgerichtshofs

 

Der Wiener Wiener Dogmatiker Prof. Jan-Heiner Tücknimmt in einem Interview mit Henning Klingen Stellung zum „Ehe für alle“-Entscheid des Verfassungsgerichtshofs (Kathpress-Infodienst; katholisch.at)


Herr Prof. Tück, der Verfassungsgerichtshof hat grünes Licht für die sogenannte „Ehe für alle“ gegeben. Kirchlicherseits reagierten Amtsträger darauf mit teils scharfer Kritik. Stimmen Sie in diesen Chor ein?

In der Sache stimme ich der Kritik zu, denn Ungleiches sollte auch weiterhin ungleich benannt werden. Man kann durchaus begrüßen, dass durch das Urteil einer wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz der Pluralität an Lebensformen Rechnung getragen wird, allerdings hätte es juristisch auch die Möglichkeit gegeben, dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu folgen und die Ehe als Rechtsinstitut von der eingetragenen Partnerschaft zu unterscheiden. Überdies drängt sich der Verdacht einer gewissen Anpassungsbeflissenheit der beteiligten juristischen Eliten auf. Nach dem Motto: Was der große Nachbar Deutschland kann, der in der letzten Plenarsitzung der vergangenen Legislaturperiode im Juni 2017 geradezu handstreichartig die Ehe für alle eingeführt hat, das können wir hier in Österreich auch…!

Mit welchem Recht meldet sich die Kirche in dieser Frage überhaupt in dieser Vehemenz zu Wort? Steht ihr die Rolle des Wächteramtes in diesen Fragen angesichts hoch ausdifferenzierter gesellschaftlicher Sphären überhaupt noch zu?

Natürlich hat die Kirche – konkret: die Bischöfe – in den letzten Jahren zum Teil schmerzhaft lernen müssen, dass sie mit öffentlichen Stellungnahmen in eine pluralistische Gesellschaft hineinspricht, in der sie keine Definitionshoheit in Fragen der persönliche Lebensgestaltung mehr geltend machen kann. Da gilt es dann kirchlicherseits Übersetzungsleistungen zu erbringen. Man kann nicht eine biblische Anthropologie und das daran anschließende kirchliche Ehe-Verständnis 1:1 in den Diskurs der säkularen Gesellschaft einspeisen.

Was wären denn solche „Übersetzungen“ angesichts der vorliegenden Materie? Was wäre ein Ihrer Ansicht nach gerechtfertigter kirchlicher Einspruch?

Das wäre etwa ein rechts-historischer Hinweis: Das Eherecht wurzelt in § 44 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1811. Dieser somit mehr als 200 Jahre alte Rechtsbestand wurde unter dem Titel der „Rechtsentwicklung“ verändert. Tatsächlich ist das aber wohl ein Euphemismus, denn von einer Entwicklung kann keine Rede sein – vielmehr ist es ein deutlicher Bruch in der Rechtstradition, der auch als solcher benannt werden muss. Ebenso kann man darauf hinweisen, dass dieses staatliche Rechtsverständnis in seinen Grundsäulen partiell auf dem kirchlichen Eheverständnis aufsetzt: Zum einen der Grundsatz der Freiheit. Ehe kommt nicht durch Zwang zustande, sondern durch freien Konsens. Weiters die Treue: Ehe ist auch staatlich nicht auf Vorläufigkeit, sondern auf Dauer angelegt; dann die prinzipielle Unauflöslichkeit: Da zeigen sich erste Differenzen zwischen staatlichem und kirchlichem Verständnis, da eine zivile Ehe sehr wohl geschieden werden kann und eine Wiederheirat problemlos möglich ist. Auch die Offenheit für Kinder, die für das kirchliche Verständnis konstitutiv ist, markiert eine Differenz. Nun wird – und das ist eine dritte Differenz – die bisher geltende Verschiedengeschlechtlichkeit, die noch im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch als Kriterium für Ehe verankert ist, fallen gelassen – und kirchliches und säkular-staatliches Eheverständnis rücken weiter auseinander.

Elternschaft ist aber auch in homosexuellen Partnerschaften möglich. Stichwort In-vitro-Fertilisation (IVF), Adoption etc. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat bereits 2003 festgehalten, dass es keinen Vorrang leiblicher Elternschaft vor sozialer gibt…

Dennoch darf die katholische Kirche vorsichtig zurückfragen, ob dies wirklich im Sinne des Kindeswohles ist. Außerdem hat ein Kind ein Recht darauf, Vater und Mutter zu kennen. Auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften kann die Terminologie der Elternschaft nicht mehr passgenau angewendet werden. Und hier könnte die juristische Denkfigur des Diskriminierungsverbotes ambivalente Folgewirkungen haben. Wenn etwa ein lesbisches Paar bei der Angabe der Personenstandsdaten die Rubrik „Vater“ oder „Mutter“ für diskriminierend hält, dann könnten demnächst Grundwörter der menschlichen Verständigung wie Vater und Mutter aus dem offiziellen Wortschatz gestrichen und „Elter 1“ und „Elter 2“ in die Behördensprache eingeführt werden. Die Manipulation der Sprache durch Maßnahmen der political correctness ginge hier entschieden zu weit.

In der Diskussion wird teilweise bereits gefordert, die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin auch auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften auszudehnen.

Ich wäre hier sehr zurückhaltend. Wenn kinderlose Ehepaare von den Möglichkeiten der medizinisch assistierten Fortpflanzung Gebrauch machen, ist das solange in Ordnung, als nicht problematische Vorstellungen eines Wunschbabys zu selektiven Maßnahmen der Reproduktionsmedizin führen. Das ist ein ethisch sehr sensibler Bereich. Die Liebe zwischen Mann und Frau, die in der sexuellen Vereinigung ihren Ausdruck findet, ist der natürliche Ort für die Weitergabe des Lebens. Und diese Verbindung von personaler Hingabe im Akt der Liebe und der Weitergabe des Lebens ist bei gleichgeschlechtlichen Paaren nicht gegeben. Das könnte man natürlich durch Adoption kompensieren – oder eben durch medizinisch assistierte Fortpflanzung. Die Frage ist aber, ob es ein „Recht auf ein Kind“ überhaupt geben kann. Falls man diese Frage positiv beantwortet, wird man reproduktionsmedizinische Möglichkeiten auch auf gleichgeschlechtliche Paare ausweiten. Das hieße konkret, dass lesbische Paare auf das Instrument der künstlichen Befruchtung zurückgreifen könnten – wobei die für die Kinder ungeklärte, aber wichtige Frage nach der Abstammung vom Vater im Raum stünde. Und man müsste in dieser Logik noch weiter gehen und dann auch homosexuellen Männerpaaren die Leihmutterschaft ermöglichen, damit sie nicht diskriminiert werden, weil sie ja keine Kinder austragen können. Die Ausbeutung von Frauen und die Verdinglichung von Kindern wären die Folge… Ein Kind auf Bestellung? Sollen wir das wirklich wollen?

Positionen, die heute nicht mehr ohne weiteres konsensfähig ist…

Das ist mir bewusst. Aber die Aufgabe der Theologie kann nicht sein, den gesellschaftlichen Mainstream nur zu bestätigen. Sie muss ihn auch kritisch befragen. Allerdings ist es schon richtig, eine erhöhte Sensibilität für jene Menschen zu entwickeln, die sich in den binären Mann-Frau-Codierungsmustern nicht mehr wiederfinden. Da hat Kirche noch große Lernaufgaben vor sich. Aber ich möchte abschließend doch festhalten, dass die jetzige VfGH-Entscheidung eine Differenznivellierung vornimmt, die den Unterschied zwischen einer Ehe von Mann und Frau und einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft einebnet. Letztlich wird zugunsten einer vergleichsweise marginalen Gruppe, die vor Diskriminierung gewiss zu schützen ist, die gesamte Rechtsarchitektonik im Bereich des Ehe- und Familienrechtes umgekrempelt.

Foto: © Jan-Heiner Tück

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