„Naturrecht und Moral in pluralistischer Gesellschaft“

Zur lesenswerten Neuerscheinung der „Joseph-Höffner-Gesellschaft“

Von Urs Knoblauch, Kulturpublizist, Fruthwilen/CH


Es ist sehr verdienstvoll, dass die „Joseph-Höffner-Gesellschaft“ die Beiträge des öffentlichen Symposiums 2016 in Königswinter als Band 6 „Naturrecht und Moral in pluralistischer Gesellschaft“, herausgegeben von Christian Müller, Elmar Nass und Johannes Zabel, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Die 2002 gegründete Gesellschaft will das Lebenswerk des grossen Gelehrten und Erzbischof von Köln, Joseph Kardinal Höffner (1906-1987) weitertragen und aktualisieren. Sein Standardwerk „Christliche Gesellschaftslehre“ erschien 1962 und findet in zahlreichen erweiterten Ausgaben und in viele Sprachen übersetzt weite Verbreitung. Lothar Roos, der mit einem Beitrag im hier rezensierten Buch vertreten ist, weist im Vorwort zur 2001 erschienen Neuausgabe der „Christliche Gesellschaftslehre“ auf Joseph Kardinal Höffners zahlreiche und „vielfältigen Pastoralreisen als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz in vielen Ländern der Dritten Welt“ hin. Dabei stand er als „Botschafter der Soziallehre der Kirche“ vor der Aufgabe, in einer geistig und materiell bedrohten, multikulturellen und pluralistischen Gesellschaft zu wirken. Um die grossen sozialen Ungerechtigkeiten, Rechtsbrüchen, den Relativismus und Nihilismus zu überwinden, ist eine fundierte ethisch-moralische Neubesinnung und Orientierung dringend nötig. Dabei kommt gerade dem Naturrecht, der Soziallehre der Kirche, den Grund- und Menschenrechten und einer universellen Ethik die zentrale Rolle zu.

Das Hauptanliegen der acht renommierten Autoren Christoph Ohly (Naturrecht und Kanonistisches Recht), Jürgen Henkel (Naturrecht, Reformation und Orthodoxie), Günter Risse (Menschenrechte als Naturrecht im islamischen Verständnis), Elmar Nass (Implizites Naturrecht im Neuaristotelismus), Christian Müller und Michael Sendker (Narration oder Naturrecht?) und Giuseppe Franco (Naturrecht und kritisch-rationale Erkenntnistheorie) ist damit angesprochen. Allen Autoren ist es ein Anliegen, gerade in einer Zeit, in der das Naturrecht kaum mehr gelehrt wird, aus unterschiedlichen Theorie- und Schulansätzen dessen grossen Wert für die heutige säkulare und pluralistische Gesellschaft aufzuzeigen.

Das Buch wird mit dem grundlegenden Beitrag „Naturrecht, Heilige Schrift und Offenbarung“ von Josef Spindelböck eingeleitet. Dabei geht der Autor auf die Klärung der Begrifflichkeit des Naturrechts, die philosophischen Wurzeln, die Unterscheidung zwischen natürlichem und göttlich geoffenbartem Gesetz ein; er nimmt auch Bezug auf die wichtige Schrift „Auf der Suche nach einer universalen Ethik. Ein neuer Blick auf das natürliche Sittengesetz“ der Internationalen Theologischen Kommission (Vatikan 2009). Die Autoren der Kommission zeigen dort auf, dass kraft der Vernunft- und Geistnatur des Menschen in den verschiedensten Kulturen und Weltreligionen gemeinsame, natürliche sittliche Grundwerte bestehen, die zu einer universalen Ethik beitragen und im Sinn der Menschenrechterklärung der Vereinten Nationen für Gläubige, wie auch für Ungläubige gültig sind. In allen Völkern und Kulturen finden sich Formen der „Goldenen Regel“ oder des „Kategorischen Imperativs“: das Gute zu tun und das Böse zu unterlassen. Spindelböck bezieht sich auch auf Johannes Messner: „Beim ‚Naturrecht‘ handelt es sich um jenen Teilbereich des natürlichen Sittengesetzes, der sich auf die Rechte und Pflichten der einzelnen, aber auch der gesellschaftlichen Gruppen im sozialen Leben bezieht. Johannes Messner definiert das Naturrecht erstens als ‚einen Bestand von Rechten, die dem Menschen kraft seiner Natur zukommen‘, zweitens als die darauf bezogene Wissenschaft, also die Naturrechtslehre. So gesehen bildet das natürliche Sittengesetz den Verpflichtungsgrund des Naturrechts; es ist in der Wesensnatur des Menschen und damit im Willen des Schöpfers begründet.“ (S. 16) Der Verfasser stellt bezüglich der Kritik am Naturrecht klar, dass die „Naturrechtsbegründung“ in einer „pluralistisch verfassten Welt“ auf die Erfahrungen der „inneren und äusseren Welt“ Bezug zu nehmen habe und damit kein „abstrakt-metaphysischer Naturbegriff vorausgesetzt“ wird. Damit werden das Realitätsprinzip, die Erkennbarkeit von Wahrheit und die Absage an den Relativismus und willkürlichen Konstruktivismus betont.

Lothar Roos führt seinen Beitrag „Naturrecht in der kirchlichen Lehrtradition“ mit den anthropologischen und sozialethischen Grundlagen des Naturrechts ein: „Der Mensch ist von Natur ein sittliches Wesen, d.h. er ist von seinem Schöpfer mit so viel Vernunft ausgestattet worden, dass er zwischen gut und böse, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden vermag. Sodann verfügt er über ein genügendes Ausmass an Willenskraft, das ihn befähigt, jeweils Wege ‚von weniger menschlichen zu menschlicheren Lebensbedingungen‘ (Paul II., Populorum progressio 20) zu suchen und zu gehen. Zu dieser natürlichen Ausstattung gehört auch das Gewissen, durch das er seine persönliche Verantwortung für sein Denken, Wollen und Handeln erkennen und bejahen kann. Diese Überzeugungen finden sich bereits bei den frühen griechischen Wegbereitern des Naturrechtsdenkens (Platon und Aristoteles), insbesondere aber in der stoischen Naturrechtsphilosophie. Solche Ureinsichten gelten für alle Menschen und überall. Sie gehören zur natürlichen Ausstattung jedes Menschen.“ (S. 35) Der Autor stellt gut verständlich die naturrechtlichen, kulturellen und kulturanthropologischen Sozialprinzipien des Gemeinwohls, der Solidarität und der Subsidiarität dar. Ebenso erhält der Leser einen Einblick in den Zusammenhang der Güterlehre des Thomas von Aquin und der Lehre der Sozialen Marktwirtschaft.

Der lesenswerte Tagungsband  leistet gerade mit seinem interdisziplinären Zugang einen wertvollen Beitrag, den wissenschaftlichen Grundlagen der Sozialnatur des Menschen dem Naturrecht und einer Gemeinwohlethik in Zeiten der Dekonstruktion sittlicher Werte, der Rechtsverwilderung und der „Diktatur des Relativismus“ (Joseph Ratzinger) wieder mehr Bedeutung zu geben.

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