Prof. DDr. Elmar Nass, Fürth

Da haben wir wieder mal das Kreuz mit dem Kreuz. Landauf, landab wird jetzt in Deutschland – nach der jüngsten bayerischen Verordnung zur Kreuzpflicht in öffentlichen Einrichtungen – auch unter Christen emotional diskutiert, welche Öffentlichkeit denn dieses Symbol bei uns verdient. Und die Wette gewinnt wohl der, der darauf setzt, dass schon bald die Gerichte darüber befinden, wie der Staat es bitte mit seiner religiösen Neutralität halten solle. Ob also diese Pflicht lange rechtswirksam bleibt? Das ist die eine Frage. Wie sollen sich Christen dazu stellen? Das ist die andere Frage. Sollen die Kreuze hin oder weg? Dieser Frage möchte ich nachgehen, hat sich doch soeben der Apostolische Nuntius von Österreich dazu in den Medien deutlich positioniert.
Ich werfe 1.) zunächst einmal einen Blick darauf, was das Kreuz für uns Christen vor allem bedeutet. Dann nehme ich 2.) die kritischen Reaktionen und Befürchtungen sowie die bisher zu hörenden Positionen dazu aus der Kirche in den Blick, die der Nuntius ja aufs Korn nimmt. Anschließend stelle ich 3.) einmal Argumente diesen Kritiken gegenüber und komme dann 4.) zu einem Schlussfazit als Antwort auf meiner Frage.
1.) Das Kreuz ist für uns Christen selbstverständlich in erster Linie ein Symbol für den österlichen Sieg Jesu über den Tod. Dieser Sieg hat zwei Seiten. Zum einen ist es der Sieg über den leiblichen Tod durch das uns verheißene neue, ewige Leben bei Gott. Zum anderen ist es der Sieg über eine zweite Seite des Todes in unserem irdischen Leben. Jesus hätte ja auch einfach als alter Mann sterben und dann auferstehen können. Er aber ging durch die Leiden des Karfreitags. Er wurde von Freunden verraten, falsche Zeugen sagten gegen ihn aus, er wurde für unschuldig erklärt und doch verurteilt, ein Straßenräuber wurde ihm vorgezogen, er wurde verlacht und verhöhnt und starb einen verachtungswürdigen, öffentlichen Tod. Er musste also tiefste menschliche Enttäuschung ertragen. Auch dieses Dunkel ist Karfreitag. Auch diesen Tod hat er an Ostern überwunden. Und so steht das Kreuz auch für unsere Hoffnung auf den Sieg über solche Niedertracht und solchen Verrat im menschlichen Leben. Damit transportiert es durch Ostern für uns eine Botschaft der Hoffnung über die dunkelsten Finsternisse unserer Existenz hinaus und eine zugleich eine Moral des Lichts, die sich solchem Dunkel entgegenstellt.
2.) Manche der aktuellen kirchlichen Kritiken am Kreuzerlass wollen hier anknüpfen. Das Kreuz sei kein reines Kultursymbol, wie es der bayerische Ministerpräsident in einem Statement sagte. Es stehe für Christus. Auch werde die Religion für den bevorstehenden Wahlkampf einer Partei instrumentalisiert. Es gehe nur um öffentlich wirksame Symbolhandlungen aus parteitaktischer Strategie. So fühlen sich vor allem viele Christen angegriffen, die der CSU ferne stehen. Auch die Gefühle von Menschen anderer Religion und Weltanschauung würden verletzt. Man solle als sichtbares Symbol des Grundgesetzes doch besser Art 1 GG in die Foyers hängen als ein Kreuz o.a. Abgesehen davon werde der Erlass ohnehin nicht lange Bestand haben, weil er von den Gerichten ausgehebelt wird.
3.) Was stimmt, ist: Das Kreuz ist kein bloß säkulares Symbol jenseits des christlichen Bekenntnisses. Das hat Dr. Söder ja inzwischen auch deutlich klargestellt. Dennoch hat es neben dem Bekenntnis auch eine Botschaft für Nicht-Christen in unserer pluralistischen Gesellschaft. Denn es steht für eines der wesentlichen Wertefundamente, die unsere Demokratie nicht aus sich selbst hervorbringt. Das Christentum ist undenkbar ohne das Judentum. Und auch der humanistische Islam des Mittelalters (Philosophen wie Averroes u.a. in Al Andalus) hat das christliche Wertedenken Europas positiv geprägt. Die Gründerväter unserer Verfassung hatten aber vor allem das Christentum und die Aufklärung als sichere Anker unantastbarer Menschenwürde im Kopf. Deren Inhalt ist ohne eine solch gute Begründung als bloße Behauptung schnell der Versuchung wechselnder Populismen und Relativierungen ausgesetzt. Das wusste man gerade 1949 nur zu gut. Und so ist der Blick auf das Kreuz zweifellos der Blick auf ein Wertefundament unserer pluralistischen Gesellschaft. Denn es steht für den menschlichen Zusammenhalt aus einem Geist des Miteinanders gerade auch gegenüber vermeintlich Fremden und Fremdem. Das hat Jesus vorgelebt. Dieses Fundament freiheitlicher Toleranz ist im Grundgesetz gerade nicht reduziert auf einen gottlosen Humanismus, wie ihn manche militant betreiben (etwa humanistische Union, Freidenker, Giordano-Bruno-Stiftung u.a.). Wer das behauptet, entfernt sich vom Geist des Grundgesetzes. Dessen Idee von Mensch und Gesellschaft ist eben auch begründet in der Botschaft von Jesus Christus, die für uns Christen Humanismus untrennbar mit dem Bekenntnis zur Transzendenz vereint. Die Öffnung über rein Irdisches hinaus teilen übrigens die meisten Religionen.
Für mich unverständlich ist die jetzt öffentlich zur Schau gestellte Solidarisierung einiger kirchlicher Amtsträger oder Organisationen mit den Laizisten, die die Kreuze schon lange zumindest aus öffentlichen Gebäuden verbannen wollen. Sie grenzt an Selbstaufgabe, die gerade die Menschen anderer Religionen nicht schätzen und die viele Christgläubige befremdet. Christen sollten sich freuen über Kreuze in der Öffentlichkeit. Das sagte mir neulich auch eine junge Muslima. Sie verstehe gar nicht die Aufregung von Christen über das öffentlich sichtbare Kreuz. Auch diese auf ihre eigene Religion stolze Stimme müssen sich die christlichen Kreuz-Kritiker sagen lassen, die meinen zu wissen, was wir zum Gefallen Andersdenkender denken oder tun sollten.
Eine reine Instrumentalisierung aus parteitaktischen Überlegungen wäre tatsächlich bedenklich. Aber warum wird das einfach unterstellt und diese Behauptung dann kritiklos übernommen? Der Einsatz von Symbolen ist seit jeher in der Demokratie ein legitimes Mittel der Politik. Das haben etwa auch Helmut Kohl oder Gerhard Schröder meisterlich exerziert. Wenn die Linkspartei sich einreiht in die Maidemonstrationen der Gewerkschaft, spricht keiner davon, das sei eine Instrumentalisierung der Arbeiter. Wenn die Grünen sich Lebensschützern entgegen stellen, sagt keiner, das sei eine Instrumentalisierung der Genderideologen und Feministen. Denn man glaubt ihnen einfach, dass solche symbolischen Gesten ihrer inneren Überzeugung entsprechen. Warum aber glaubt man dann einem bekennenden christlichen Politiker mit seinem Kabinett nicht, dass auch er wirklich aus Überzeugung handelt, wenn er die Kreuze in der Öffentlichkeit sehen will? Hier wird offenbar mit zweierlei Maß gemessen.
4.) Mit dem Vorsitzenden der EKD und bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm freue ich mich als Christ über jedes Kreuz, das in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Diese Symbole haben sowohl dem säkularen als auch dem religiösen Menschen Wichtiges zu sagen. Wer auf das Kreuz schaut, sieht sich dabei gleichermaßen konfrontiert mit einem wesentlichen Werteanker unserer humanistischen Toleranzkultur wie mit Jesus Christus als dem Sohn Gottes. Das mag manchem anstößig bleiben. Christen aber sollten niemals Kreuze verbannen oder abhängen.