Was lernen wir aus der Corona-Krise? Naturrecht als sozialethische Orientierung für die Zeit danach

Prof.Dr.Dr. Elmar Nass

Was lernen wir aus der Corona-Krise? Naturrecht als sozialethische Orientierung für die Zeit danach

 

Das christlich verstandene Naturrecht ist auch in der Theologie eine inzwischen fast vergessene Orientierung. Dabei bietet sie eine in Gott begründete normative Universalität und eine auf Gott bezogene Tugend. Gerade die Corona-Krise hat auf sehr eindringliche Weise gezeigt, wie wichtig solche festen Anker ethischer Orientierung sind, erst recht dann, wenn alles andere ins Wanken kommt. Diese Aktualität soll herausgestellt werden, wenn wir etwas lernen aus der Krise lernen wollen. Hierzu werden die in der Krise zutage getretenen ethischen Orientierungslosigkeiten aufgedeckt, die Gründe dafür beleuchtet und die naturrechtlich-christliche Antwort darauf gegeben.

Orientierungslos in der Krise

In den Zeiten der Pandemie gibt es viele dunkle Nachrichten. Sorgen mischen sich mit Ängsten. Es herrschen Furcht vor der Ansteckung, materielle Existenznöte und Bangen um den Arbeitsplatz. Ausgangsbeschränkungen führen zu mehr Einsamkeit, gerade bei alten Menschen. Immer mehr öffentliche Schulden: Wo soll das hinführen? Manche Familien sind überfordert, weil die Schule ausfällt. Auch häusliche Gewalt ist ein Risiko. Und was sind wohl die schrecklichen Folgen einer Pandemie in den Elendsvierteln der Welt? Was sind die richtigen Maßnahmen?

In einer solchen Zeit vieler Fragen erleben wir zweifelhafte Orientierungen und Verhaltensweisen.

  1. Einerseits sehen wir in China eine totalitäre Fake-Propaganda, die die Ursprünge der Pandemie verdreht und am Ende wirtschaftlichen Profit aus der Krise ziehen will. Im Westen wurde eine sogenannte Herdenimmunität propagiert, zunächst in Großbritannien, später vom Gouverneur des US-Bundesstaates Texas. Es solle keine Beschränkungen im öffentlichen Leben geben. Alle stecken sich an. Die meisten werden immun, Alte und Vorerkrankte sterben. Das müsse man eben hinnehmen, damit die Wirtschaft keinen zu großen Schaden nehme. Hier wird mit einem Nutzenkalkül Leben geopfert. Das ist kruder Utilitarismus, wenn nicht gar Sozialdarwinismus, der die Schwachen aussortiert. Gibt es keine überzeugende Idee von Freiheit und Gerechtigkeit gegen solche Auswüchse, so werden sie immer stärker. Die christliche-naturrechtliche Idee der Menschenwürde ist dazu das überzeugende Gegenmodell.
  2. Zwar gibt es auch viele Zeichen ehrlicher Solidarität, aber der Geist der Gesellschaft ist stark egoistisch getrübt: US-Präsident Trump wollte mutmaßlich für Milliarden Dollar exklusiv alle Heilmittel für die USA erwerben. Wir erlebten bei uns Tumulte in Supermärkten, Corona-Partys oder den Diebstahl von Desinfektionsmitteln aus Krankenhäusern. Gegen destruktiven Egoismus helfen nur Zwangsmaßnahmen mit Strafandrohung. Das ist zwar besser als zügellose Selbstsucht, hat aber wenig mit Tugend zu tun. Schon Immanuel Kant lehrt uns, dass man mit solchem Zwang auch ein Volk von Teufel regieren könnte. Gibt es keine überzeugende Idee der Tugendbildung, so bleibt uns in Zukunft nur noch ein Machtspiel zwischen Egoismus und Zwang. Die christlich-naturrechtliche Idee von Gewissen und Zusammenleben ist das Gegenmodell.

Gründe der Werte- und Tugendvergessenheit

Die Wurzeln für solche Verirrungen liegen in der Zeit vor der Krise.

  1. Gottlosigkeit und /oder die Abkehr vom Naturrecht hat den Boden bereitet für eine Kultur der Lüge (China), des Utilitarismus und Sozialdarwinismus. Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde werden inhaltlich ausgehöhlt. Es bleibt nur ihre Hülle. Menschen konstruieren sich die Semantik der Werte selbst, was sich etwa auch in Gesetzen zu Familie und Euthanasie zeigte. Wo eine Verantwortung vor Gott und der von uns durch Vernunft in Liebe erkennbaren Würde des Menschen als Gottes Ebenbild verloren geht, ist die Tür offen für solchen Relativismus. Eine Theologie, die mit einem methodologischen Atheismus auf das Reden von Gott verzichtet, den Anspruch der Botschaft Jesu bloß noch als partikulare Sonderethik versteht und sich stattdessen einer säkularen Welt gegenüber als anschlussfähig beweisen möchte, hat ihre Relevanz ebenso verloren wie die Berechtigung, sich Theologie zu nennen.
  2. Eine analoge Entwicklung konnten wir schon vor der Corona-Krise im Bereich der Tugendethik ausmachen. Das ökonomische Denken bei uns geht weitgehend vom Menschen als dem egoistischen Nutzenmaximierer aus. Entsprechend werden Anreize gesetzt und Gesetze geschrieben. Karl Homann, wohl der führende Wirtschaftsethiker im deutschsprachigen Raum, warnt in der Wirtschaft vor einer Moral, die etwas anderes vorgebe. Und auch sogenannte Theologen folgen einer solchen „Tugend“-Idee. Es reiche in der anonymen Massengesellschaft eine Haltung des Nebeneinanders der egoistischen Nutzenmaximierer aus, so der Nobelpreisträger James Buchanan, von dem Homann viel übernahm. Andererseits erlebten wir zunehmende Exklusiv-Identitäten. Politisch extreme Gruppen, rechts wie links, oder fundamentalistische Islamisten, versprechen eine ausgrenzende Gruppenidentität, die Anonymität überwindet. Wer nicht die richtige Rasse, Klasse oder religiöse Überzeugung hat, bleibt außen vor. Solches Denken ist Nährboden für darwinistische Anklänge und einen Kampf von gesellschaftlichen Gruppen gegeneinander.

Christliches Naturrecht zur Werte- und Tugendbegründung ist dazu die Alternative. Eine Renaissance dieses Denkens sollte eine Lehre aus groben Verirrungen der Krisenzeit sein.

Orientierungen für die Zeit danach

Irgendwann kehren wir nach der Krise zurück zum Alltag. Haben wir dann etwas gelernt? Ein einfaches „Weiter so“ hieße eine Fortsetzung der Gottferne, die fortdauernde Selbstausbeutung in vielen Berufen, die hingenommene Ausgrenzung der Ärmsten und die weiter ungebremste Ausbeutung der Schöpfung. Grund dafür ist die fehlende Verantwortung vor Gott. Eine grüne Ersatzreligion ist keine nachhaltige Alternative. Auch sie hat jetzt in den Zeiten der Pandemie versagt. Ihre Ikonen scheinen mehr um sich selbst zu kreisen und Aufruhr zu stiften als Verantwortung ganzheitlich zu denken. Die christliche Alternative setzt im Naturrecht an, im Glauben an gottgegebene Werte und Prinzipien, die wir mit einer Tugend der Liebe und mit Vernunft erkennen können und sie zum universal gültigen Maßstab von Würde und Zusammenleben machen. Dann steht die Beziehung des Menschen in seiner Verantwortung vor Gott wieder im Zentrum der Ethik.

  1. Für die Werte heißt dies: Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ist der objektive Maßstab einer unantastbaren Würde aller Menschen, gerade auch der ungeborenen, schwachen, alten oder behinderten Menschen. Wer so denkt, für den sind utilitaristische o.a. Gedankenspiele, wie die Herdenimmunität, tabu. Deshalb sollten wir Christen wieder selbstbewusst unser Menschenbild einbringen, wenn sich die Relativisten in Jurisprudenz, Politik und Wissenschaft mit Berufung auf eine inhaltsleere Selbstbestimmung als Hüter der Würde ausgeben.
  2. Für die Tugend heißt das: Wir Christen sollten uns stark machen für eine umfassende Tugendbildung. Eine Förderung der sogenannten MINT-Fächer, das Erlernen rein technischer, handwerklicher oder ökonomischer Fertigkeiten reicht als Bildungsziel nicht aus. Der Bildungsbegriff leitet sich ursprünglich aus der ethischen Konsequenz der Gottesebenbildlichkeit ab. Gott bildet sich im Menschen ab. Der gebildete Mensch ist danach derjenige, der diesem Bild entsprechend lebt. In diesem Sinne brauchen wir eine Charakter- und Gewissensbildung. Daraus folgt auch eine soziale Tugend des affektiven Verbundenseins in der Gesellschaft, welches der Anonymität ebenso widerspricht wie jeder exklusiven Kampfideologie oder bloßem Zwangsgehorsam. Diese Tugend entspricht der kirchlichen Idee von einer Menschheitsfamilie, die in der Tugend der Menschen ihren Anfang nimmt und irenisch (friedensstiftend) wirkt. Das ist etwa auch das Tugendideal Sozialer Marktwirtschaft.

Ausblick 

Werden wir also etwas aus der Krise lernen? Dazu müssen gottfreie Ethik relativiert und säkularisierte Theologie dekonstruiert werden. Wir müssen dazu keine neuen Werte erfinden, oder neue Tugenden schmieden. Die Ideale, ihre Begründungen und der Heilige Geist sind präsent, so dass eine solche Neubesinnung auf die Wahrheit Gottes als erkennbare Orientierung für Werte und gelebte Tugend jetzt beginnen kann und sollte.

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