Zur Erinnerung: Vor 10 Jahren sprach Papst Benedikt im Bundestag

Dr. Michael F. Feldkamp, Berlin 

Im Jahre 2021 wird es zehn Jahre her sein, dass der Heilige Vater Papst Benedikt XVI im Deutschen Bundestag seine damals viel beachtete Rede hielt.

Gegenwind

Seit Ende 2010 bekannt wurde, dass Papst Benedikt XVI vom 22. bis 25. September 2011 Deutschland besuchen würde, gab es in ganz Deutschland zahlreiche Proteste und sogar Hassausbrüche gegen den Papst aus Deutschland und die katholische Kirche im allgemeinen. Es bildeten sich Aktionsbündnis wie „Der Papst kommt“ und vermeintlich Wohlmeinende riefen mit dem „Zentralkomitee der Deutschen Katholiken“ die Initiative „Ökumene jetzt“ ins Leben. Von protestantischer Seite wurden konkrete Forderungen an den Papstbesuch gestellt, die er in Hinblick auf die Ökumene zu erfüllen habe. Diese Forderungen wurden begleitet durch eine Broschüre der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung in der hoher Reformbedarf der Kirche angemahnt worden war.

Dass ein Papst im Bundestag sprechen würde, ist nicht selbstverständlich. Aber der Deutsche Bundestag, der sich als „Forum der Nation“ versteht, hat seit den 1950-er Jahren wiederholt Staatsgäste der Bundesrepublik Deutschland als Redner eingeladen. So waren verschiedentlich Staatsoberhäupter und Regierungschefs aus Frankreich, den Vereinigten Staaten, Russland, Ukraine, Südafrika oder Israel im Deutschen Bundestag um die guten Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland zu demonstrieren.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl sind nicht belastet. Dennoch hatte die Tatsache, dass ein Papst im Bundestag spricht, von Anfang an politisches Aufsehen erregt. Im Dezember 2010 konkretisierte sich der Besuch des Papstes in Deutschland und auch die Tatsache, dass Papst Benedikt gerne zu einer Rede im Bundestag zur Verfügung stünde. Nach Auffassung der Grünen sei der Papst jedoch in erster Linie „Religionsführer“, und es gebe keine Praxis, dass diese vor den Mitgliedern des Deutschen Bundestags sprechen würden. Schon aus Gründen der Gleichbehandlung forderten sie, dass der Papst, wenigstens nicht im Reichstag sprechen sollte. Es interessierte sie nicht, dass Papst Benedikt selbst im anglikanischen Großbritannien sogar in Westminster Hall, dem Versammlungsraum der beiden englischen Parlamentskammern, gesprochen hatte.

Die Einladung

Schon 2006 hatte Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) Papst Benedikt zu einer solchen Rede in den Bundestag eingeladen. Bei seinem Besuch in Rom hatte Lammert angeregt, dass zum 50-jährigen Bestehen der römischen Verträge im Jahre 2007 der Heilige Vater vor dem Deutschen Bundestag über die Grundlagen des europäischen Einigungsprozesses reden könnte. Diese Anregung ist nicht umgesetzt worden. Als der Heilige Stuhl aber nun den Deutschland-Besuch von Benedikt XVI. im Jahre 2011 vorbereitete, kam man im Vatikan auf eben diese Einladung von Präsident Lammert zurück. Lammert wiederum sah keine Veranlassung, dem Wunsch des Papstes nicht zu entsprechen.

Mit großer Spannung also war der Besuch des Oberhauptes der katholischen Kirche und gebürtigen Deutschen erwartet worden.

Eine neue Choreografie

Für die Rede im Deutschen Bundestag wurde sogar eine „neue Choreografie“ eingeführt. Üblicherweise saßen bei solchen Veranstaltungen die Präsidenten der obersten Verfassungsorgane mit dem Ehrengast in einem Halbkreis vor dem festinstallierten Rednerpult, dahinter in den Sitzbänken die Abgeordneten. Nach einer Begrüßung durch den Bundestagspräsidenten, hatte dieser das Rednerpult verlassen und der Festredner wäre daraufhin an das Rednerpult getreten. Norbert Lammert jedoch setzte sich an das Pult des Parlamentspräsidenten und hatte von dieser erhobenen Stelle nach seiner eigenen Ansprache den Papst ans Rednerpult gebeten. Das führte dann dazu, dass der Papst zunächst einmal gar nicht wusste wo er denn jetzt hingehen müsse, bis ihn Saaldiener umsichtig zum Rednerpult führten. Während der Rede des Papstes blieb Lammert auf dem Präsidentenplatz, im Rücken zum Redner, sitzen. Es entsprach der Atmosphäre einer Plenarsitzung. Aber es war keine übliche Plenarsitzung.

Ein „hörendes Herz“

Statt über die „Grundlagen des europäischen Einigungsprozesses“, wie Norbert Lammert aus gegebenem Anlass noch 2006 anregte, zu sprechen, sezierte Benedikt die „Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaates“. Damit trug er eines seiner wesentlichsten Anliegen vor, dass sich durch sein gesamtes Schrifttum als Professor, Bischof, Kardinal und schließlich auch als Papst zog. Seit 1984 beklagte er die „Diktatur des Relativismus“ und die Frage wie weit es auch in einem modernen säkularisierten Staat möglich ist, das natürliche Sittengesetz noch aufrecht zu halten.

Der Papst hatte in wohlgesetzten Worten eine höchst anspruchsvolle Rede gehalten. Zunächst erinnerte er an den biblischen Bericht vom König Salomon, der vor seiner Krönung von Gott ein „hörendes Herz“ erbat, was Benedikt in seiner Exegese als das Gewissen bezeichnete. In Anlehnung an diesen Wunsch formulierte der Papst die Aufgabe eines Politikers damit, dem Recht zu dienen und sich gegen die Herrschaft des Unrechts zu wehren. Nach Benedikts Auffassung ist das hörende Herz noch heute „die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden“.

Im Folgenden stellte der Papst das – wie er selbst formulierte – nur noch als „katholische Sonderlehre“ wahrgenommene Naturrecht gegen die zugegebenermaßen unverzichtbare rechtspositivistische Weltsicht. Eine ausschließliche „positivistische Vernunft“ verglich er mit „Betonbauten ohne Fenster“.

Ein grüner Papst?

Geschickt griff Benedikt das politische Schlagwort grüner Politik von der „Ökologie“ auf und sprach davon, dass im Diskurs offenbar die „Ökologie des Menschen“ ausgeklammert werde und er setzte fort, dass der Mensch eine Natur habe, sie achten müsse, und die er nicht beliebig manipulieren könne. Der Mensch sei eben nicht nur „Geist und Wille“: „der Mensch ist auch Natur“. Weiter heißt es in der Papstrede: Der Wille des Menschen „ist dann recht, wenn er auf die Natur achtet, sie hört und sich annimmt als der, der ist und der er sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit“.

Ein Schlag ins Kontor mancher Abgeordneter war auch der von Papst Benedikt zitierte Ausspruch des heiligen Augustinus: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande“. Selbstverständlich hatte Benedikt selbst nach dem Zitat sofort den Blick auf die nationalsozialistische Zeit gelenkt, in der „Macht von Recht getrennt“ worden sei. Vor diesem Hintergrund hatte der Papst dann aber das Naturrecht klar in Stellung gegen den Rechtspositivismus moderner Gesellschaften gestellt.

Rechtspositivismus versus Naturrecht

Vor allem Juristen bemerkten im Nachgang des Papstbesuches in Deutschland, dass Benedikt mit seiner Bundestagsrede nur einen einzigen modernen Autor erwähnte, der von vielen als „Jurist des 20. Jahrhunderts“ apostrophiert wird: nämlich den Rechtspositivisten Hans Kelsen. Seiner Aussage, dass es aussichtslos sei, über die Wahrheit zu diskutieren, hielt Benedikt nun in seiner Bundestagsrede die rhetorische Frage entgegen: „Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus voraussetzt?“

Gleichheit aller Menschen ist ein Naturrecht

Gegen Ende seiner Rede wies der Heilige Vater schließlich auf das kulturelle Erbe Europas hin und fasste zusammen: „Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden. Diese Erkenntnis der Vernunft bildet unser kulturelles Gedächtnis. Es zu korrigieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben.“

Auch ohne, dass der Papst es benannte, war sein Eintreten für das Naturrecht zugleich eine klare Abfuhr an jüngste Entscheidungen des Deutschen Bundestages; dazu zählen das Gesetz zur begrenzten Freigabe der PID zur Stammzellenforschung, das Gesetz zur Neuregelung der Suizidassistenz sowie etliche andere das menschliche Leben betreffend. Sie waren und sind unvereinbar mit der christlichen Sittenlehre.

Aus heutiger Sicht ist die Rede von Papst Benedikt im Deutschen Bundestag vom 22. September 2011 das letzte öffentlich wahrgenommene Plädoyer für die Anerkennung des Naturrechts und seine Aussöhnung mit der Moderne.

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